Hintergrund: Notwendigkeit Logistischer Gestaltungskompetenz
Als das führende europäische Forschungsprojekt für Logistik soll der im Spitzencluster-Wettbewerb des Bundes geförderte EffizienzCluster Logistik Ruhr (ECLR) richtungsweisende beispielgebende Innovationen für die Logistik und für ein immer stärker durch die Logistik determiniertes wirtschaftliches und gesellschaftliches Umfeld erzeugen. Innovationen stellen die einzige Möglichkeit dar, um sich z.B. als Unternehmen durch Angebote neuartiger Leistungen pro-aktiv am Markt aufzustellen und sich neue Entwicklungsmöglichkeiten zu erarbeiten oder aber auch seine Positionen in hoch dynamischen Märkten zu stabilisieren.
Innovationen können im Logistik-Bereich in Form neuer Technologien (RFID, Hybrid-Fahrzeuge, Verpackungsmaterialien, Softwaretools), in veränderten Arbeitsprozessen (Arbeitsplatzgestaltung, Nutzung von Hilfsmitteln, neue Formen der Kooperation, neue Geschäftsmodelle) erscheinen. Die Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) hat viele Branchen tief greifend verändert und viele neue Geschäftsmodelle, Produkte, Service- und Dienstleistungen hervorgebracht. Insbesondere die Nutzung von innovativen Softwaretools erweitert das Leistungsspektrum von Unternehmen, da logistische Konzepte wie Supply Chain Management, Warehouse Management, Distribution Net Management nur mit Hilfe von vernetzten Softwaretools zu bewältigen sind. Der computergestützte Informationsfluss, der das ganze Spektrum IKT abdeckt, bildet das „Nervensystem“ der Logistik. Moderne Softwaresysteme im Bereich der Touren-, Routen- und Lagerplanung, etc. ermöglichen eine vollständig automatisierte Abwicklung von logistischen Transaktionen.
Entwicklungen wie E-Commerce, E-Business, E-Supply Chain oder E-Logistics setzen auf die Innovationskraft im Softwarebereich und generieren aus diesen neue Formen der Geschäftsabwicklung, Interaktion und Vernetzung mit Kunden und kooperierenden Unternehmen. Die Weiterentwicklung von Software, durch Anpassungen an andere Kundenkreise (KMU), IuK-Landschaften oder verbesserte Benutzeroberflächen, lässt die IT-Innovationen in andere Anwenderkreise driften und ermöglicht auch dort innovative Logistiklösungen. Diese Entwicklungen erweitern den Aktions- und Wirkungsradius der Mitarbeiter, tragen einer individualisierten pluralistischen Konsumgesellschaft Rechnung, aber sie definieren auch grundlegend eine veränderte Rolle von Konsumenten in Supply Chains und damit auf die „logistische Realität“ der Welt. Die Interdependenz und die Qualität der Wechselbeziehungen zwischen dem logistischen und dem sozialen System verändern sich; das Wechselspiel wird zunehmend intensiver.
Diesen Zusammenhang chancenorientiert zu gestalten und Folgen positiv und pro-aktiv zu meistern, bedarf einer hohen „Awareness“ auch über Details der Beziehung als auch dem Verständnis von Inhalten und Methoden um Prozesse sinnvoll zu gestalten. Die Chancengenerierung setzt eine logistisch fundierte Gestaltungskompetenz aller Prozessbeteiligten voraus. Die Durchsetzung und Determination der Alltagswelt durch eine IT-affine Logistik bleibt von den meisten Konsumenten weitgehend unbemerkt. Positive Folgen (schnelle Versorgung mit individualisierten Gütern und hochwertigen Services) werden als Bestandteil der Wohlstandgesellschaft interpretiert, negative Folgen (verkehrliche Belastungen, soziale Impacts der globalisierten Auslagerung von Produktion und Dienstleistung, Anfälligkeit der Systeme bis hin zu multifaktoriell bewirkten globalen Umweltveränderungen) werden nur selten klar in Bezug zueinander gesetzt. In diesem Zusammenhang werden die Begriffe sozialer Benefit der Systeme insgesamt, Effizienz der Ressourcennutzung und Wirtschaftlichkeit des Leistungsangebots in einer Art Dreieck als Bezugsrahmen gesehen, der für den Bereich der Logistik kurz-, mittel- und langfristig sich verändernde Potentiale als auch Restriktionen beschreibt (Logistik in der Nachhaltigen Entwicklung).
Interpretation der Logistischen Gestaltungskompetenz
Technologische und operationale Errungenschaften werden erst zu wirksamen Innovationen durch das Wechselspiel mit Anwendern auf verschiedenen Ebenen von Organisationshierarchien, bzw. Organisationsnetzen. Diese soziale Komponente der Wirksamkeit von Weiterentwicklungen ist heute gegenzeichnet durch Bewusstseinsbildungen und Kompetenzbildungen sowie sozialer Kommunikation im sozial-realen Raum als auch im sozial-virtuellen Raum. Gerade in der Logistik erzeugt die enge Verquickung der beiden Sphären (arbeitender Mensch auf verschiedenen Verantwortungsniveaus zwischen physischer Abwicklung und virtueller Abbildung von Prozessen) eine hohe Komplexität. Neue Konzepte zu Beherrschung dieser dynamischen Komplexität logistischer Systeme sind ein Bottleneck sowohl für den wirtschaftlichen Erfolg der Logistik als auch in der immer stärker werdenden Rolle als gesellschaftlicher Dienstleister.
Logistische Gestaltungskompetenz wird im Zuge der Leithemenentwicklung des ECLR multidimensional interpretiert und betrifft damit mehrere konkrete Wirkungsebenen, etwa:
1. Das Konzeptualisieren von Qualifizierungsprogrammen: inhaltlich-curricular, strategisch und methodisch. Dies geschieht durch klassische und elektronisch informationell gestützte Wissenserwerbe (etwa E-Learning), regional, national und international. Dabei stellen globale Entwicklungen und Zielkategorien der Nachhaltigen Entwicklung ein neues Anforderungsprofil für Logistiker (zusammengefasst unter dem Begriff des „Sustainable Systems Management“) dar und determinieren eine fachliche Öffnung in einen weiterreichenden interdisziplinären Kanon, z.B. durch eine stärkere Darstellung der Supply Chain als „soziales Netzwerk“.
2. Ihre Wirksamkeit in verschiedenen Niveaus und Formaten des Bildungssystems: von der beruflichen Ausbildung bis zum akademischen Studium und modularen Weiterbildungsangeboten. Die Durchlässigkeit zwischen Bildungsniveaus muss dabei kompetenz-akkreditiert neu aufgestellt sein.
3. Know-how-Transfers zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bedürfen effektiver Dialogstrukturen, die Kompetenzentwicklung, Beratung und die Darstellung von „new practise“ und „good practise“ bündeln und veranschaulichen.
4. Kompetenzentwicklung fußt auf Innovations- und Verantwortungskulturen in Unternehmen und Kundengruppen und betrifft alle organisatorischen Niveaus von der Einzelperson bis zur lernenden Großorganisation, vom Kommissionierer bis zum Vorstandsvorsitzenden. Konzepte wie Corporate Citizenship oder Corporate Social Responsibility können hier sinnvolle Impulse setzen.
5. Zur Gestaltungskompetenz im logistischen Sinne gehört auch das „bewußt sein“ über eine immer stärker logistisch determinierte Gesellschaft („Logistische Gesellschaft“). Dies beeinflusst Business-Konzepte in der Logistik, das Selbstkonzept der Logistiker, die gesellschaftlichen Anforderungen an sie und die Sichtbarkeit der Rolle der Logistik in der sich verändernden Gesellschaft. Trennungen zwischen physischer Realität und Virtualität verschwimmen angesichts der Logistik und stellen neue Herausforderungen an den Konsumenten als Teil der Supply Chain und seine Gestaltungsmöglichkeiten. Voraussetzung ist eine Supply Chain Transparency für die Steuerung durch folgenbewußte Kaufentscheidungen durch den Konsumenten.