Dienstag, 1. Februar 2011

Logistik und (Un-)Nachhaltigkeit

Die aktuelle und absehbar dauerhafte Diskussion über die Folgen des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen, insbesondere induziert durch wirtschaftliche Entwicklung und zunehmende Weltbevölkerung, umfasst nicht zuletzt auch logistische Fragestellungen. "CO2-Ausstoß und Klimaveränderungen" oder "Energiepreise und Transportkosten" sind nur zwei Begriffspaare, die wesentlich sich verändernde Rahmenbedingungen logistischer Leistungen und die damit möglichen und sinnvollen logistischen Entscheidungen beeinflussen. In diesem Zusammenhang werden die Begriffe Nachhaltigkeit der Systeme insgesamt, Effizienz der Ressourcennutzung und Wirtschaftlichkeit des Leistungsangebots in einer Art Dreieck als Bezugsrahmen gesehen, der für den Bereich der Logistik kurz-, mittel- und langfristig sich verändernde Potentiale als auch Restriktionen beschreibt.
Trotz zumindest politisch unterstützter und vielfältiger gegenteiliger Anstrengungen ist bei über den einzelnen Produktionsbetrieb hinausgehenden logistischen Aktivitäten in den letzten Jahrzehnten eine Tendenz zu kleinteiligeren, individualisierten Lösungen, auch mit den entsprechenden Randeffekten wie überproportionaler gesteigerter Verkehrsaufkommen und entsprechend Schädigungen der Umwelt, festzustellen.  Dieser Trend ist bisher ungebrochen, auch wenn mittlerweile das Thema „Nachhaltige Entwicklung“ auch in der Logistik durchaus virulent ist. Bisher allerdings beziehen sich sowohl das Erkennen un-nachhaltiger Muster als auch angedeutete Lösungen noch viel zu sehr auf ein recht technisches Verständnis der ökologischen Dimension von Nachhaltigkeit. Zudem impliziert dieses etwas oberflächliche Problembewusstsein eine eingeschränkte Sicht auf notwendigerweise breitere Perspektiven effektiver Lösungen. Wie in vielen Wirtschaftszweigen bisher noch vorherrschend, neigt vor allem die Logistik noch dazu anzunehmen, mit einer höheren Effizienz der Systeme könne Nachhaltigkeit per se erzeugt werden. Weitergehende konzeptionelle Überlegungen, die zwar dem definitorischen Begriff der Logistik nicht schaden, sondern ihn neu akzentuieren, aber dem bisherigen quantitativen Wachstumsdrang der Branche Logistik entgegenstehen, sind selten Gegenstand der Diskussion. So kommt es, dass die Begriffe Suffizienz (die notwendige qualitative Veränderung der Systeme), der Konsistenz (der zusammenhängenden Betrachtung gekoppelter Systeme auch außerhalb der eigenen Domäne) und der Persistenz (die vorausschauende langfristige „Überlebensfähigkeit“ von Systemen)  bisher eine untergeordnete Rolle einnehmen, obwohl sie in der wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsdebatte fest verankert sind.
Un-nachhaltige Wirkungen der Logistik sind komprimiert dargestellt durch mehrere Faktoren bedingt:
1.       Zunehmende relative Bedeutung des Faktors Zeit: In vielen Produktions- und Handelsunternehmen war bzw. ist eine Tendenz festzustellen, dass der Preiswettbewerb durch einen (Liefer-) Zeitwettbewerb ersetzt wurde bzw. wird. (Daneben treten auch Qualitäts- und/oder Flexibilitätsaspekte, die nicht selten auch logistische Bezugspunkte haben, in ihrer Bedeutung relativ vor den Preis als Faktor, der Wettbewerbsvorteile erzeugen kann. Dies bedeutet nicht, dass aufgrund der relativ geringeren Bedeutung des Preises höhere Preise durchsetzbar wären. Im Sinne der 2-Faktoren-Theorie Herzbergs ist vielmehr die Preiskomponente im Wettbewerb eher ein Hygienefaktor, während Wettbewerbsvorteile erzielende Motivatoren sich eher auf Qualität, Flexibilität und eben Zeit beziehen.)
2.       Faktisch (immer noch) geringe Bedeutung von Transportkosten in der (längerfristigen) Planung: Bei der mittel- und langfristigen Planung von Transportdienstleistungen bzw. von Transportstrukturen bei Nachfragern von Transportdienstleistungen (i. W. Produzenten) spielte und spielt die genaue Kalkulation von Transportkosten allenfalls eine nachgeordnete Rolle. Demgegenüber steht, dass bis zu 70% der Emission von klimaschädlichen Treibhausgasen in den Supply Chains von Konsumgütern bis zum Verbraucher in Transporten begründet sind. Es wird seit geraumer Zeit die Internalisierung real existierender externer Umweltkosten in die Unternehmensbezüge gefordert. Die Umgestaltung betriebswirtschaftlicher Rahmenbedingungen zeichnet sich hier bereits ab. Es ist hohe Zahl von Fällen bekannt, in denen bei Outsourcing Entscheidungen die zusätzlich entstehenden Transportkosten entweder überhaupt nicht oder aber in einer nicht der Realität entsprechenden Form berücksichtigt wurden. Dieser Fehler war betriebwirtschaftlich nicht weiter von Bedeutung, solange die Transportkosten für den Produzenten tatsächlich nicht wesentlich ins Gewicht fielen. Die gesellschaftlichen wie ökologischen Folgen liegen auf der Hand.
3.       geringe Elastizität der (kurz- und mittelfristigen) Transportnachfrage in Bezug auf Preisänderungen: Bezog sich das vorstehende Argument stärker auf die (erstmalige) Generierung/Planung einer Transportlösung, wird hier die Nutzung von bestehenden Transportlösungen adressiert. Hier ist häufig eine geringe Elastizität der Nachfrage nach diesen Lösungen in Bezug auf Preisänderungen festzustellen, auch weil häufig dazu erforderliche technische Änderungen nur mit hohem Aufwand realisiert werden können.
Weitere Aspekte, etwa die breite Akzeptanz kleinteiliger logistischer Dienstleistungen, sind Gegenstand einer eigenen Themenstellung und werden dieser Stelle nicht weiter erörtert.
Mit den angesprochenen, bereits eingetretenen oder absehbaren Veränderungen (oder Umwälzungen) der Rahmenbedingungen des Transports und ihren Auswirkungen in Bezug auf die Logistik werden erhebliche Modifikationen eintreten:
Der bislang häufig nur extern induzierte Druck zu ökologisch akzeptableren Lösungen bei Transportleistungen im Zuge einer Nachhaltigen Entwicklung wird bereits derzeit durch wachsenden ökonomischen Druck zur Veränderung begleitet, weil die physische Durchführung von Transporten aufgrund ihres Ressourcen-/Energiebedarfs zu erheblichen Kostenverschiebungen bzw. -erhöhungen führt bzw. weiter führen wird. Deshalb sind veränderte, stärker ressourcenschonende logistische Lösungen in Zukunft verstärkt zu entwickeln, und zwar sowohl aus der Perspektive des effizienten Einsatzes von Ressourcen als auch aus der Perspektive der Wirtschaftlichkeit, wobei sich beide Perspektiven wesentlich überlappen.
Die soziale Dimension nachhaltiger Entwicklung wird in der Logistik bisher beinahe (bis auf die kritische Diskussion der Entlohnung oder mangelnder Qualifizierung und Verfügbarkeit von Personal in der Branche selbst) nicht thematisiert. De facto sind logistische Netzwerke selbst soziale Netzwerke der darin arbeitenden Menschen unter unterschiedlichen, meist betriebswirtschaftlich definierten Organisationsformen. Zudem erzielen soziale und implizite sozio-ökonomische Rahmenbedingungen im globalisieret Markt gerade im Zusammenhang mit einer leistungsfähigen Logistik Effekte, die in der Nachhaltigkeitsdiskussion ebenfalls kritisch gesehen werden: Produktion unter sozial unsicheren Bedingungen in Niedriglohn-Ländern, sozial unverträgliche Rohstoffgewinnung, höhere Kosteneffizienz durch Umgehung von Kernarbeitsnormen und Arbeitnehmerrechten. Diese sozialen Effekte sind im Übrigen oft mit ökologischen wirkungsgekoppelt.
Denkperspektiven bieten Ansätze der „Supply Chain Transparency“ (Informationsoffenheit über die Bedingungen und Effekte logistischer Arbeit) und der „Supply Chain Governance“ (Integration von werteorientierter „Good Governance“ als aktives Momentum im Supply Chain Management). Beide Ansätze definieren sind in stärker vernetzter Weise hinsichtlich wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Dimensionen und entsprechender Implikationen für grundlegend veränderte logistische Systeme.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen